Ein Phänomen, das bei vielen, auch ganz erfahrenen Piloten beobachtet wird, ist extreme Zielfixierung, neudeutsch "target fixation".

Eine Standard-Situation, die schon oft erfolgreich gemeistert wurde, z.B. ein scharfer Endanflug auf den heimatlichen Platz, wird durch die Veränderung von wenigen Parametern plötzlich brandgefährlich. Da ist das Fallen auf den letzten 15 km durchgehend stärker als gewohnt, dafür der Rückenwind aber schwächer. Die Sicherheitsmarge schwindet stetig. Der Wunsch heimzukommen, verdrängt den Schweinehund namens Vorsicht, und der Pilotör nagelt mit Tunnelblick auf den heimatlichen Platz zu.

Wenn dann endlich die Einsicht dämmert, dass es doch nicht mehr klappen kann, sind die Außenlandeoptionen minimal. Es gibt keine Feldauswahl und keine vernünftige Landeeinteilung mehr.

Ein Pilot geht in solchen Situationen ein unverhältnismäßig großes Risiko ein, das er bei klarem Kopf nie eingegangen wäre. Aber das vor ihm liegende, scheinbar greifbar nahe Ziel läßt ihn alle gesunden Selbstzweifel vergessen, steckt ihm die Scheuklappen auf.

Glücklicherweise gehen viele dieser Situationen noch gut aus. Das hat dann aber nichts mehr mit der überlegenen Fliegekunst des Operateurs zu tun, sondern das ist streng zufällig. Und leider gibt es dann die schlimmen und fatalen Fälle.

  • Zielfixierung gibt es nicht nur im Endanflug. Es erscheint heute ziemlich sicher, dass Klaus Holighaus in einer solchen Situation gestorben ist. Er wollte durch einen Pass zurück ins Engadin, der von Wolken kaum frei war, und er war wohl auch nicht mit zu viel Höhe gesegnet.
  • Bei den Quali-Meisterschaften in Bayreuth 2008 wollte ein gestandener Wettbewerbsflieger es einfach nicht glauben, dass er nicht mehr auf den Bindlacher Berg kommt und im Tal landen muss. Das Flugzeug wurde später mit einem schweren Kran aus den Bäumen am Hang gehievt, ihm ist glücklicherweise nichts geschehen.
  • Im Frühjahr 2008 ist Wolfgang Lengauer umgekommen. Aus der Summe aller Berichte lässt sich schließen, auch das war ein Unfall, bei dem übertriebener Ehrgeiz mitgespielt hat.

1985 fiel auch ich diesem Phänomen beinahe zum Opfer. Ich wurde bei sehr starkem Westwind von Reinheim aus Richtung Lindenfels Krähberg geschleppt. Mit der LS4 wollte ich an den Hang der Bergstraße. Ich habe dann nach Augenmaß ausgeklinkt und bin losgeglitten, immer die Bergstraße - von hinten oben - vor Augen. Die Stärke des Gegenwinds in der Höhe hatte ich gewaltig unterschätzt bzw. gar nicht wahrgenommen, wollte ich doch nur an die Kante und da hin und her flitzen. Als mir aufging, was da Sache war, hing ich schon so tief im Kirschhäuser Tal (seufz: unlandbar), dass ich nur noch weiter gegen den Wind nach vorne in die flacheren Weinhügel fliegen konnte, alles in dreifacher und doppelter Baumwipfelhöhe in leicht fallendem Gelände. Bis VOR den Hang hätte es nach meiner Einschätzung nicht mehr gereicht. Ich sah meinen Flug in irgendeinem Weinberg am Hang enden. Entsprechend hoch war mein Puls. Nur mit Glück - aber ohne Verstand - traf ich unerwartet ca. 4 km östlich der Starkenburg eine schräge Wiese hoch auf dem Hangrücken zwischen den Obstbäumen. Nach einem Entscheidungsblitz habe ich meine LS4 mit einer abenteuerlichen Landung da drin versenkt. An der Kiste war alles gut gegangen, aber mein Ego war total zerfleddert und meine Knie zitterten wie Espenlaub. Wenn das heute, nach mehr als 30 Jahren, vor meinem geistigen Auge wieder abläuft, fühle ich heute immer noch, wie meine Nebennieren vom Adrenalin-Ausstoß bei Todesangst schmerzten. Das war ganz knapp.

Quintessenz:
Je näher du dem Ziel kommst und je sicherer du bist, es zu erreichen, umso kritischer musst du dir selbst gegenüber werden. Vielleicht hast du gerade eine rosarote Brille auf, die dir die Situation schön zeichnet.

2. Quintessenz:
Es muss ein Ziel der konsequenten Fortgeschrittenenschulung (ab der "C") sein, den jungen Piloten einzutrichtern, dass eine Entscheidung zur Außenlandung nichts Ehrenrühriges ist, dass, im Gegenteil, eine Außenlandung in einer marginalen Situation, die früh erkannt wurde, als sie noch nicht gefährlich war, von einem deutlichen und lobenswerten Sicherheitsbewußtsein zeugt.

3. Quintessenz:
Das Gehirn einzuschalten und unter Strom zu halten, ist eine dominante Strategie.

 

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