Streckenflüge dauern lang. Ein Anfänger fliegt ein 300-km-Dreieck mit einem Schnitt von 50 - 60 km/h, dann dauert es 5 - 6 Stunden.
Kleiner Dreisatz aus dem 4. Schuljahr :
Wie lange dauert dann ein 400-km-Dreieck? Wie lange ein 500-km-Dreieck?
Da müssen die Schnittgeschwindigkeiten schon erheblich steigen, bevor diese Strecken in den Thermiktag passen.
Aber immer, auch beim erfahrenen Streckenflieger, wird der Tag bis zum Ende ausgenutzt. Start um 10:30, Landung um 19:30, das sind 9 Stunden. Damit musst du immer rechnen. Und du darfst nicht zusammenbrechen, wenn es 10 Stunden werden. Solltest du dich für Gebirgssegelflug interessieren, musst du dich auf noch längere Flüge einstellen.
Alle bei Human Factors beschriebenen Härten tauchen auf. Mit denen musst du dich auseinander gesetzt haben. Die Wasserver- und -entsorgung muss gelöst sein. Du musst bequem sitzen.
Es ist keine Schande, wenn dir beim Fliegen schlecht wird. Mir ist das am Anfang meiner fliegerischen Laufbahn auch oft passiert. Bei fast allen jungen Piloten legt sich das mit steigender Flugerfahrung. Wir wollen hoffen, dass du nicht zu den wenigen Prozent Mitmenschen gehörst, deren Gleichgewichtsorgan das Segelfliegen permanent übel nimmt. Dann solltest du auf Modellfliegen umsteigen.
Man darf die Übelkeit nicht leicht nehmen und einfach weiterfliegen. Deine Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit werden sofort leiden und mit der Zeit wird auch dein Kreislauf in Mitleidenschaft gezogen. Das kann bis zum Schock führen. Beobachte dich genau, wenn dir schlecht ist und du mit dem Gedanken spielst, weiter zu fliegen. Hier ist Ehrgeiz völlig fehl am Platz.
Nach einem missglückten Flug in die Schweiz und einer Außenlandung in Aosta musste ich dort übernachten und wurde am nächsten Morgen Zeuge und Akteur in einem kleinen Drama:
Ein italienischer Machismo hatte eine junge Holländerin für einen ersten Segelflug als Gast in eine ASK21 geladen und mit ihr geturnt. Nachdem er am Boden wieder ausgestiegen war, hat der testosteron-geschwängerte Jüngling nicht gemerkt, dass am zweiten Sitz die Haube gar nicht aufging. Ich habe das auch erst nach zwei, drei Minuten wahrgenommen, aber dann das Mädchen befreit, sie mit Mühe aus dem Flieger gehoben und in den Schatten unter der Fläche gelegt. Sie war nicht mehr ansprechbar, kaltschweißig, hatte fliegenden Puls und flache Atmung.
Schocklage und Oberschenkeldruckmassage (da gingen schon ein paar Augenbrauen hoch) haben in den ersten fünf Minuten nicht geholfen, sie wieder in die Gegenwart zu holen. Gegen den massiven Widerstand der Italiener habe ich das Mädchen mit dem Lepo zum Terminal gefahren und den Notarzt (Hubschrauberstaffel zur Ski- und Bergrettung 30 m weg) geholt. Das Mädchen wurde mit Tatütata in der Notaufnahme gebracht.
Abends beim Essen (damals gabs noch die Pizzeria am Platz) hat sich der Notarzt an meinen Tisch gesetzt und erzählt, dass es dem Meisje wieder gut ging. Sie war immer noch in der Intensivstation und sie hätte nach seinen Worten keine 10 Minuten später eingeliefert werden dürfen, sonst wären irreparable Hirnschäden eingetreten.
Also : Übelkeit, Schock --- nicht als Lappalie abtun.
Solange es dir (noch) regelmäßig beim Fliegen schlecht wird, oder wenn du feststellst, dass langes Fliegen dir nicht bekommt, lass die Finger vom Streckenfliegen. Du wirst nämlich den Flug nicht immer und zu jedem Zeitpunkt abbrechen können wie einen Flug am Platz.
Nach Murphy wird es dir immer dann maximal übel, wenn du eigentlich alle Aufmerksamkeit brauchst, um einen Bart zu finden oder den weiteren Flugpfad zu identifizieren. Eine Landung am Platz, wenn dein Kreislauf spinnt und deine Gedärme krampfen, das ist schwierig genug. Eine Außenlandung in diesem Zustand ist schlichtweg lebensgefährlich. Außerdem brauchst du vielleicht anschließend professionelle Hilfe.
Du solltest dich selbst prüfen, ob du diese Dauerflugreife hast: Stelle dir am Platz mal die Aufgabe, als erster morgens hängen zu bleiben UND als letzter zu landen. Kündige das beim Briefing morgens an, damit du nicht als vermisst gemeldet wirst. Wenn dir solch lange Flüge am Platz (> 6 Stunden) gelingen, dann bist du reif für das Streckenfliegen jenseits der 300 km.