Sollfahrttheorie - Das epische Thema bei den Segelfliegern ...
Aus der Sollfahrttheorie ergeben sich Vorgaben für die Wahl der Gleitgeschwindigkeit. Das wirst du schon wissen. Aber wenn du noch am Anfang deiner Leistungsflugkarriere stehst, ist es nicht notwendig, dass du dieses Thema vollständig beherrschst und "beten" und taktisch umsetzen kannst. Anfänglich ist es für dich ein handwerkliches Thema: die Wahl der Fluggeschwindigkeit.
Später, wenn du beginnst, kompliziertere Situationen zu beherrschen, wirst du verstehen, dass dir die Theorie einen weiten Rahmen aufspannt, in dem du deine Geschwindigkeit taktisch wählen kannst. Und du wirst verstehen, welche Konsequenzen deine Wahl haben wird.
Zuerst musst du verstehen, dass alle in Veröffentlichungen vorgestellten Sollfahrttheorien - beispielhaft nehmen wir Reichmanns "Streckensegelflug" in seiner jüngsten Auflage als Bezugspunkt - auf Annahmen und Modellvorstellungen beruhen. Eine davon, die meistens, aber nicht notwendig immer, bemüht wird, ist die Kontinuitätsbedingung.
Andere Modellvorstellungen und Annahmen beschreiben, wie ein Thermikschlauch, ein "Bart" aufgebaut ist: Ob er an seinen Grenzen sprunghaft beginnt und auf den vollen Steigenwert springt oder ob das Steigen graduell vom Rand in die Mitte steigt und in welchem Maße es steigt.
Wesentlich ist, dass du verstehst: Alle diese Sollfahrttheorien basieren auf Annahmen. Und wenn beim richtigen Fliegen diese Annahmen nicht zutreffen - und das ist oft der Fall -, dann gelten auch die Theorien nicht.
Notabene:
Helmut Reichmanns Buch "Streckensegelflug" enthält ab Seite 188 alles, was du über die Geschwindigkeitpolare wissen musst. Was ich hier hinzufüge, sind nur noch ein paar Schmankerl.
Die Geschwindigkeitspolare beschreibt die Leistungsfähigkeit deines Flugzeugs. Sie beschreibt ihrer Natur nach, wieviel Sinken dein Flugzeug hat, wenn du eine gegebene Geschwindigkeit fliegst, in ruhender Luft gemessen. Das ist aber nicht entscheidend, denn in dieser Situation wirst du fast nie fliegen. Entscheidend ist viel mehr, dass du aus der Polare ableiten kannst, wie schnell du in verschiedenen anderen Situationen fliegen musst, um dein Flugzeug optimal zu bewegen
- bei steigender oder fallender Luftmasse
- bei Rücken- oder Gegenwind
- in Bodennähe oder in 6000 m Höhe,
- in Bezug auf einen ortsfesten Punkt auf der Erde oder mitschwimmend in der windgetriebenen Luftmasse.
Optimal bedeutet immer - je nach Sitiation, entweder möglichst schnell oder möglichst weit.
Es wurde schon festgehalten, dass die optimale Fluggeschwindigkeit (im Jargon die "Sollfahrt") abhängig ist vom meteorologischen Fallen der Luftmasse (LMS) und dem erwarteten Steigen (ES). Links noch einmal die Zeichnung dazu.
ES - LMS = Eingangswert
Das Luftmassensinken hat natürlich negatives Vorzeichen (Fallen == negativ), deshalb wird der Eingangswert größer, wenn mehr Luftmassensinken herrscht.
Wie findest du die optimale Fluggeschwindigkeit ?
In Reichmanns Buch werden dazu eine graphische und eine mathematische Lösung angeboten. Die mathematische Lösung darf jeder dort nachlesen. Die graphische Lösung will ich hier noch einmal in kleinen Schritten aufbauen.
Die Basis aller Leistungsrechnungen ist die Polare.
Die Gleitgeschwindigkeit ist immer dann optimal, wenn unter gegebenen Bedingungen (ohne / mit Luftmassensinken, Rücken- / Gegenwind) das Verhältnis Vorwärtsgeschwindigkeit zu Sinkgeschwindigkeit maximal ist.
Vorwärtsgeschwindigkeit / Sinkgeschwindigkeit --> maximal !!!
Diese Aufgabe lässt sich graphisch lösen. Die Zeichnung rechts zeigt eine Polare, die der LS4-Polare nachempfunden ist.
Allgemein formuliert heißt das Optimierungsproblem:
Gegeben sind dein Flugzeug, das Steigen im Bart und der Wind. Wie hoch musst du steigen, um dein Ziel zu erreichen ? Und welche Geschwindigkeit musst du dann fliegen ?
Selbstverständlich ist die Polare deines Flugzeugs wieder die Grundlage der Rechnung.
Klar ist, wenn du mit Gegenwind zum Ziel kurbelst, dann frisst die Versetzung einen Teil deiner erkurbelten Höhe auf und die Entfernung, die du zurücklegen musst, um nach Hause zu fliegen, wird während des Kurbelns größer. Das ist also eine ziemlich komplizierte Sache.