Die ersten Anzeichen einer wissenschaftlich-theoretischen Grundlage für das Segelfliegen erschienen erst in der zweiten Hälfte der 30-iger Jahre des alten Jahrhunderts. Damals war die Wasserkuppe das Mekka der Segelflieger.
Der Horst hat eine kleine Sammlung von historischen Büchern und Romanen, die diese Zeit schildern. Aber nirgends lässt sich herauslesen, ob sich diese ersten "Rhönindianer" mit dem befasst hatten, was wir heute als die Theorie des Streckensegelflugs bezeichnen.
Zwei Veröffentlichungen liegen mir (dem Horst) vor, die erahnen lassen, wann und wie sich die Theorie entwickelt hat. Da ist einmal das "Handbuch des Segelfliegens" von Wolf Hirth, das 1938 zum ersten Mal in Druck ging. Und dank Gerhard "Vinzenz" Waibel habe ich eine Kopie der Dissertation von Helmut Reichmann, der in seiner Einleitung der Frage nach den Anfängen der Theorie auf den Grund ging. Hier seine Erkenntnisse kurz zusammengefasst :
Zwar gab es 1928 die ersten Variometer (Robert Kronfeld hielt das Ding geheim und gab das Ausgleichsgefäß als Thermoskanne für Kaffee aus). Und 1930 hat Wolf Hirth mit einem Variometer gezeigt, dass man auch ohne Wolken in Blauthermik größere Strecken zurücklegen kann. Er erfand in der amerikanischen Blauthermik die Thermiksteilkreise. 1935 war man schon 500 km weit geflogen. Man sprang also schon von Thermik zu Thermik. Aber theoretische Abhandlungen über das Segelfliegen aus dieser Zeit sind nicht bekannt.
Aus dem Jahr 1936 stammt der Bericht des Ungarn Rotter, der von Berlin nach Hamburg geflogen war : "… Ich nahm nördlichen Kurs, meistens mit 120 - 140 km/h, kreiste selten, sondern zog lediglich beim Durchfliegen von Thermikgebieten die Verwindungsklappen herunter und verminderte so die Geschwindigkeit auf 60 km/h". Rotter flog damit auch ohne theoretische Basis in der Tendenz richtig.
Wolfgang Späte, ein deutscher Segelflieger, setzte sich 1937 mit dem Problem der Optimierung der Reisegeschwindigkeit auseinander. Er nutzte die Polare, nahm verschiedene Steigwerte in den Aufwinden an und berechnete die optimalen Geradeausfluggeschwindigkeiten. Er nutzte ein Diagramm, das ungefähr so aussah (geklaut bei Reichmann, Seite 106, Abb. 28).
Späte fand zunächst wenig Anerkennung. 1938 gewann er den 19. Rhönwettbewerb überlegen gegen 59 Teilnehmer, gab anschließend sein Erfolgsgeheimnis preis, aber immer noch ohne positive Resonanz. Erst nach dem 2. Weltkrieg wurden Spätes Erkenntnisse in Wolf Hirth's "Handbuch des Segelfliegens" aufgenommen.
Ebenfalls 1937 haben sich polnische Segelflieger (R. Szukiewicz, L. Szwarc und W. Kasprzyk) mit dem gleichen Problem beschäftigt und 1938 in der polnischen Zeitschrift "Skrzydlata Polska" veröffentlicht. Laut Helmut Reichmann sind die Originale der Veröffentlichung nicht mehr auffindbar, aber die Erkenntnisse der Polen gingen noch weiter als die Spätes. Sie enthielten Hinweise auf Fahrtvariationen im Geradeausflug und auch Hinweise auf die vorteilhaften Effekte des Geradeausflugs in größerer Höhe, wegen der verbesserten Leistung der Flugzeuge in dünnerer Luft.
Weder die deutschen noch die polnischen Theorieansätze wurden während des Krieges weiter verfolgt.