Segelfliegen ist gefährlich !! Wie Bruno Gantenbrink sagt, sogar saugefährlich.
Wir müssen gute Gründe haben, uns dieser Gefahr auszusetzen. Und die haben wir auch: Der Lohn ist, teilzuhaben an den überwältigenden und majestätischen Eindrücken, die dieser Sport uns bieten kann.
Wegen der hohen Risiken, die wir eingehen, sind wir uns, unseren Familien und unseren Fliegerkameraden gegenüber verpflichtet, alles zu tun, was uns hilft, unseren Sport sicherer und die Risiken kleiner zu machen.
Vieles von dem, was wir tun können, hängt mit uns selbst, den Grenzen unseres Handlungsvermögens zusammen, mit dem Gebiet, was modern "human factors" genannt wird. Diesen Themen ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Hier sind zwei Foliensätze, die sich mit der Verbindung aus "Human Factors" (sehr groß, nur bei guter DSL-Verbindung lesbar) und "Sicherheit" auseinandersetzen.
Wenn du die folgenden Kapitel zum Thema "Sicherheit" liest, bitte ich dich, das Kapitel "Human Factors" immer gleich mit im Fokus zu haben.
"Sicherheit" als Begriff ist überladen mit Bedeutungen. Das macht die Diskussion schwierig.
Fest steht für mich: Sicherheit lässt sich nicht trivial herstellen in dem Sinne: Tue das, tue jenes, tue dies nicht - fertig. So naiv kann man das nicht betrachten. Eigene Handlungen oder Nicht-Handlungen haben zwar einen großen Einfluss auf unsere Sicherheit, nicht nur auf die jeweils eigene, aber diese Handlungen musst du eingebettet sehen in einen größeren Rahmen.
Fest steht für mich: Man kann der Sicherheit nur Vorschub leisten, man kann viele Dinge tun (oder nicht tun) und damit das Risiko (Definition siehe unten) kleiner machen. Aber du bekommst das Gesamtrisiko nie auf 0.
Ich starte hier einen bescheidenen Versuch, diese Themenvielfalt aufzurollen, und erlaube mir zu versuchen, ein wenig Licht in diese Begriffswelt zu bringen, so wie ich sie sehe (!!).
Für mich ist diese Begriffswelt zunächst einmal zweigeteilt in
- subjektiv gefühlte Sicherheit (ich bin persönlich betroffen, in einer gegebenen oder vorhersehbaren Situation, fast statisch)
- prozessuale Sicherheit (zwar auch persönlich betroffen, aber nicht nur alleine, sondern in Interaktion mit anderen und der Umwelt, dynamisch, teilweise objektivierbar)
Gefühlte Sicherheit bedeutet:
Du willst dich sicher fühlen im Sinne von "ungefährdet". Das ist das Ziel deines atavistischen Strebens nach Selbsterhaltung.
Du als Steinzeitmensch in der Höhle, Geborgenheit, Vorräte, Wasser, Nahrung, Wärme, Feuer, Rauchabzug, Latrine, Belüftung, Kleidung, Felle, Harem, Verhütungsmittel, Waffen frisch geschliffen, und ein dicker Stein vor dem Eingang gegen die Bären (nicht unbedingt in dieser Reihenfolge :-)
Absolute Sicherheit in diesem Sinne gibt es nicht. Bedenke: Es ist ein Gefühl, also etwas völlig Subjektives. Du kannst "gefühlt absoluter" Sicherheit recht (relativ) nahe kommen. Das würde bedeuten, dass aus deiner Sicht möglichst wenige oder keine der genannten Bedingungen fehlen, z.B. Waffen nicht ganz scharf. Aber ist dir auch klar, welche Bedingungen erfüllt sein müssen ? Ob du alle notwendigen Bedingungen kennst ? Wahrscheinlich nicht.
Vielleicht hat die Höhle einen zweiten Eingang, den nur der Bär kennt.
Also: Du darfst deine gefühlte Sicherheit (jetzt habe ich alles vermieden, was mich gefährden könnte) nicht mit objektiver Sicherheit verwechseln, ein beliebter Fehler.
Das Schlüsselwort ist "Gefährdung", oder einfacher "Gefahr". Eine Gefahr ist eine Situation, in der die Möglichkeit besteht, dass
- du selbst an Leib, Seele und/oder Leben Schaden nimmst,
- ein anderer oder mehrere andere an Leib, Seele und/oder Leben Schaden nehmen,
- Sachen beschädigt oder zerstört werden.
Im Beispiel: Dass der Bär reinkommt unddich frisstdeinen Harem frisstdeinen Honigkuchen frisst
Eine Gefahr ist akut, wenn ohne eine Form von zeitnahem Eingreifen / zeitnaher Veränderung der Situation aus der genannten Möglichkeit, dass ein Schaden entsteht, Gewissheit wird.
latent - wenn der Bär vorm Stein vorm Eingang der Höhle steht und brummt, aber der Stein noch davor steht
akut - wenn der Bär den Stein weggestoßen hat und rein kommt. Dann musst du als Steinzeitmensch ihn sofort mit dem Spieß attackieren, denn solange er im Eingang steckt, kann er sich nicht wehren.
Eine akute Gefahr muß nicht plötzlich kommen. Auch eine sich anschleichende Gefahr kann akut sein, dann, wenn sie zwangsläufig zu einer Katastrophe führt, falls nicht eingegriffen wird: z.B. Weltbevölkerungsexplosion. Deshalb “Zeitnahes Eingreifen” ist relativ zu sehen !
Ein Risiko ist die Wahrscheinlichkeit, mit der aus einer latenten Gefahr eine akute Gefahr zu werden droht. Risiko ist für mich der wichtigste Begriff der ganzen Sicherheitsdiskussion.
“Ein Risiko eingehen” bedeutet, sich einer mehr oder weniger bekannten Gefährdungswahrscheinlichkeit bewusst, nicht unbedingt immer freiwillig, auszusetzen.
Als Steinzeitmensch lebst du mit dem Risiko, dass einmal ein Bär kommt, der stark genug ist, den Stein wegzuschieben.
Als Steinzeitmensch hast du keine Wahl, als dich dem Risiko auszusetzen und mit dem Risiko zu leben, wenn du keine Stelle kennst, die dich vor Bärenangriffen (absolut ?) schützt.
Ein Risikofaktor ist ein Umstand, der die Wahrscheinlichkeit (= Risiko) erhöht, mit der aus einer latenten Gefahr eine akute Gefahr zu werden droht.
Starker Frost kann deinen Stein sprengen. Das ist ein Risikofaktor.
Eine latente Gefahr wird potentiell (groß) genannt, wenn das Produkt aus der Eintrittswahrscheinlichkeit, also dem Risiko (deutlich > 0), und dem Umfang der möglichen Auswirkungen aus dem Eintritt groß wird.
Du als Steinzeitmensch bist potentiell in großer Gefahr, wenn du es dem Bären zutraust, den Stein wegzuschieben.
Wichtig: Die Potentialeinschätzung einer latenten Gefahr ist meistens subjektiv. Uneinigkeit über Einordnung und Potenz von Gefahren ist ein beliebtes politisches Thema: Siehe Umweltschützer.
Der Bär vor der Höhle ist keine potentiell große Gefahr, solange der Stein, der davor liegt und den Eingang versperrt, schwer ist. Wenn ihn der Frost in zwei Teile gespalten hat, ist die potentielle Gefahr größer.
Im nächsten Artikel komme ich auf diese Begriffe zurück.
Nun zum zweiten Teil meiner "Sicherheits"-Weltordnung:
Prozessuale Sicherheit bedeutet:
Ein Vorgehen, ein Prozess, ein Zusammenwirken, ein Tun ist "sicher" im Sinne von: Es vermeidet jede Gefährdung von dir selbst, anderen Menschen und Sachen. Gefährdung vermeiden bedeutet, Risiken klein zu machen.
Hier wird es mächtig kompliziert, wenn und weil viele Menschen zusammenwirken (arbeitsteilig), von denen jeder eine eigene (wie oben skizzierte subjektive) Sicherheits-Weltordnung hat.
Die Beteiligten müssen sich in den Zielen einig sein, also über das WAS in dem Prozess erreicht werden soll. Sie müssen sich in den Tätigkeiten einig sein, über das WIE ein Prozess stattfinden soll. Und sie müssen sich da hin diskutieren, dass ihre subjektiven Einschätzungen des Risikos von Gefährdungen nahe beieinander liegen, denn nur so setzen sie die gleichen Prioritäten.
Ein arbeitsteiliger Prozess erfordert deshalb Absprachen und Abstimmungen, also Kommunikation, damit durch den Prozess keine Gefahr entsteht. Deshalb ist saubere Kommunikation ein wesentlicher Sicherheitsfaktor, vor der Prozessdurchführung wie auch während der Prozessdurchführung.
Aus diesen Abstimmungen, aus der Verständigung über den Ablauf des Prozesses, aus der Erfahrung mit dem Prozess, wie er schon existiert, entstehen abgesprochene Prozeduren und Verfahrensregeln, die im Idealfall dafür sorgen, dass keine Gefährdung entsteht und dass der Prozess verbessert wird, sicherer gestaltet wird. Die besten und bewährtesten dieser Regeln sind codifiziert, z.B in der SBO.
Diese Absprachen und Regelungen, die darüber informierten Beteiligten an dem Prozess, die Institutionen, die den Prozess tragen, zulassen oder verbieten und regulieren, wirken zusammen mit dem Ergebnis eines sicheren oder unsicheren Prozesses. Man redet hier von Ebenen in einem Sicherheitsmodell. Jede dieser Ebenen hat ihre eigenen Unzulänglichkeiten, aber nur dann, wenn sich Unzulänglichkeiten auf allen Ebenen paaren, kommt es zum Unfall oder zur Katastrophe.
1990 hat James T. Reason dafür zum ersten Mal das Bild von den Schweizer-Käse-Scheiben statt der Ebenen verwendet. Dieses Bild wird heute mehr und mehr verwendet, um die Zusammenhänge zu erklären. In der Medizin und in der Verkehrsluftfahrt ist es das Standard-Modell.
Die Käsescheiben von James T. Reason waren
- Organizational influences
- Unsafe supervision
- Preconditions for unsafe acts
- The unsafe acts themselves
Diese geringe Differenzierung reicht nach meiner bescheidenen Meinung nicht aus. Die mir bekannten Käsescheiben für das Sicherheitsmodell im Segelfliegen sind folgende:
- die Behörden, die Zulassungen und Verfahren und Nutzungen von Systemen, Geräten, Instrumenten regeln, auch der Verein mit seinen Statuten und Regeln
(Institutionen) - die Flugzeuge, die Maschinen, die Geräte, die Instrumente, das Material und die Wartung daran
(Systeme) - die Verfahren, nach denen die Menschen die Flugzeuge, Maschinen Geräte, Instrumente, Material zum Segelfliegen nutzen
(geschulte Prozeduren und Best Practices, Verfahren) - die Menschen, die Flugzeuge, Maschinen Geräte, Instrumente, Material zum Segelfliegen nutzen
(physische und psychische Tauglichkeit, Human Factors) - die Ausbildung, die den einzelnen Menschen in den Stand versetzt, diese Verfahren anzuwenden
(Schulung) - die Routine und Übung, die die Menschen in den Stand versetzt, diese Verfahren problemlos zu beherrschen
(Praxis und stetige Übung zur Erlangung der Routine, Training auch für Notfälle) - das Engagement und "Wachheit", mit dem jeder am Flugbetrieb Beteiligte, seine Augen offen hält, mitdenkt, Verantwortung übernimmt für sein eigenes Tun, aber auch für das Tun anderer (Engagement)
- die Umwelt, der Verein, der Flugbetrieb
(die Interaktion und Kommunikation zwischen den beteiligten Menschen)
Diese Käsescheiben bilden eine Ordnung, eine Struktur, die es uns leichter machen kann, über verschiedene Aspekte von Sicherheit zu diskutieren.